Bundesverfassungsgericht erklärt Vorratsdatenspeicherung für Verfassungswidrig
• 02.03.10 Das Bundesverfassungsgericht hat nun am heutigen Tag, dem 2.März, das langersehnte Urteil ins Sachen Vorratsdatenspeicherung bekannt gegeben. Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen die Paragrafen 113a, 113b TKG und gegen Paragraf 100g StPO. Eingeführt wurden die Vorschriften durch das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung vom 21. Dezember
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Die Beschwerdeführer sehen durch die Vorratsdatenspeicherung vor allem das Telekommunikationsgeheimnis und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt. Sie halten die anlasslose Speicherung aller Telekommunikationsverbindungen für unverhältnismässig. Insbesondere machen sie geltend, dass sich aus den gespeicherten Daten Persönlichkeits- und Bewegungsprofile erstellen liessen. Eine Beschwerdeführerin, die einen Internetanonymisierungsdienst anbietet, rügt, die mit der Speicherung verbundenen Kosten beeinträchtigten die Anbieter von Telekommunikationsdiensten unverhältnismässig in ihrer Berufsfreiheit.
Die angegriffenen Vorschriften verstehen sich als Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die Vorratsdatenspeicherung aus dem Jahre 2006. Nach dieser Richtlinie sind Anbieter von Telekommunikationsdiensten dazu zu verpflichten, die in Paragraf 113a TKG erfassten Daten für mindestens sechs Monate und höchstens zwei Jahre zu speichern und für die Verfolgung von schweren Straftaten bereitzuhalten. Keine näheren Regelungen enthält die Richtlinie zur Verwendung der Daten.
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass die Regelungen des TKG und der StPO über die Vorratsdatenspeicherung mit Art. 10 Abs. 1 GG nicht vereinbar sind. Zwar ist eine Speicherungspflicht in dem vorgesehenen Umfang nicht von vornherein schlechthin verfassungswidrig. Es fehlt aber an einer dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz entsprechenden Ausgestaltung. Die angegriffenen Vorschriften gewährleisten weder eine hinreichende Datensicherheit, noch eine hinreichende Begrenzung der Verwendungszwecke der Daten. Auch genügen sie nicht in jeder Hinsicht den verfassungsrechtlichen Transparenz und Rechtsschutzanforderungen. Die Regelung ist damit insgesamt verfassungswidrig und nichtig.
Eine sechsmonatige anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten
für qualifizierte Verwendungen im Rahmen der Strafverfolgung, der
Gefahrenabwehr und der Aufgaben der Nachrichtendienste, wie sie die §§ 113a,
113b TKG anordnen, ist mit Artikel 10 GG nicht schlechthin unvereinbar. Bei
einer Ausgestaltung, die dem besonderen Gewicht des hierin liegenden Eingriffs
hinreichend Rechnung trägt, unterfällt eine anlasslose Speicherung der
Telekommunikationsverkehrsdaten nicht schon als solche dem strikten Verbot
einer Speicherung von Daten auf Vorrat im Sinne der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts. Eingebunden in eine dem Eingriff adäquate
gesetzliche Ausgestaltung kann sie den Verhältnismässigkeitsanforderungen
genügen.
Je nach Nutzung der Telekommunikation kann eine solche Speicherung die
Erstellung aussagekräftiger Persönlichkeits und Bewegungsprofile praktisch
jeden Bürgers ermöglichen. Auch steigt das Risiko von Bürgern, weiteren
Ermittlungen ausgesetzt zu werden, ohne selbst hierzu Anlass gegeben zu
haben. Darüber hinaus verschärfen die Missbrauchsmöglichkeiten, die mit einer
solchen Datensammlung verbunden sind, deren belastende Wirkung. Zumal die
Speicherung und Datenverwendung nicht bemerkt werden, ist die anlasslose
Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten geeignet, ein diffus
bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene
Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann.
Urteil vom 2. März 2010
1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08
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