2007.
Die Beschwerdeführer sehen durch die Vorratsdatenspeicherung vor allem das
Telekommunikationsgeheimnis und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung
verletzt. Sie halten die anlasslose Speicherung aller
Telekommunikationsverbindungen für unverhältnismässig. Insbesondere machen sie
geltend, dass sich aus den gespeicherten Daten Persönlichkeits- und
Bewegungsprofile erstellen liessen. Eine Beschwerdeführerin, die einen
Internetanonymisierungsdienst anbietet, rügt, die mit der Speicherung
verbundenen Kosten beeinträchtigten die Anbieter von
Telekommunikationsdiensten unverhältnismässig in ihrer Berufsfreiheit.
Die angegriffenen Vorschriften verstehen sich als Umsetzung der
Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über die
Vorratsdatenspeicherung aus dem Jahre 2006. Nach dieser Richtlinie sind
Anbieter von Telekommunikationsdiensten dazu zu verpflichten, die in Paragraf
113a TKG erfassten Daten für mindestens sechs Monate und höchstens zwei
Jahre zu speichern und für die Verfolgung von schweren Straftaten
bereitzuhalten. Keine näheren Regelungen enthält die Richtlinie zur
Verwendung der Daten.
Der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts hat entschieden, dass die
Regelungen des TKG und der StPO über die Vorratsdatenspeicherung mit Art. 10
Abs. 1 GG nicht vereinbar sind. Zwar ist eine Speicherungspflicht in dem
vorgesehenen Umfang nicht von vornherein schlechthin verfassungswidrig. Es
fehlt aber an einer dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz entsprechenden
Ausgestaltung. Die angegriffenen Vorschriften gewährleisten weder eine
hinreichende Datensicherheit, noch eine hinreichende Begrenzung der
Verwendungszwecke der Daten. Auch genügen sie nicht in jeder Hinsicht den
verfassungsrechtlichen Transparenz und Rechtsschutzanforderungen. Die Regelung
ist damit insgesamt verfassungswidrig und nichtig.
Eine sechsmonatige anlasslose Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten
für qualifizierte Verwendungen im Rahmen der Strafverfolgung, der
Gefahrenabwehr und der Aufgaben der Nachrichtendienste, wie sie die §§ 113a,
113b TKG anordnen, ist mit Artikel 10 GG nicht schlechthin unvereinbar. Bei
einer Ausgestaltung, die dem besonderen Gewicht des hierin liegenden Eingriffs
hinreichend Rechnung trägt, unterfällt eine anlasslose Speicherung der
Telekommunikationsverkehrsdaten nicht schon als solche dem strikten Verbot
einer Speicherung von Daten auf Vorrat im Sinne der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts. Eingebunden in eine dem Eingriff adäquate
gesetzliche Ausgestaltung kann sie den Verhältnismässigkeitsanforderungen
genügen.
Allerdings handelt es sich bei einer solchen Speicherung um einen
besonders schweren Eingriff mit einer Streubreite, wie sie die
Rechtsordnung bisher nicht kennt. Auch wenn sich die Speicherung nicht
auf die Kommunikationsinhalte erstreckt, lassen sich aus diesen Daten
bis in die Intimsphäre hineinreichende inhaltliche Rückschlüsse ziehen.
Adressaten, Daten, Uhrzeit und Ort von Telefongesprächen erlauben, wenn
sie über einen längeren Zeitraum beobachtet werden, in ihrer Kombination
detaillierte Aussagen zu gesellschaftlichen oder politischen
Zugehörigkeiten sowie persönlichen Vorlieben, Neigungen und Schwächen.
Je nach Nutzung der Telekommunikation kann eine solche Speicherung die
Erstellung aussagekräftiger Persönlichkeits und Bewegungsprofile praktisch
jeden Bürgers ermöglichen. Auch steigt das Risiko von Bürgern, weiteren
Ermittlungen ausgesetzt zu werden, ohne selbst hierzu Anlass gegeben zu
haben. Darüber hinaus verschärfen die Missbrauchsmöglichkeiten, die mit einer
solchen Datensammlung verbunden sind, deren belastende Wirkung. Zumal die
Speicherung und Datenverwendung nicht bemerkt werden, ist die anlasslose
Speicherung von Telekommunikationsverkehrsdaten geeignet, ein diffus
bedrohliches Gefühl des Beobachtetseins hervorzurufen, das eine unbefangene
Wahrnehmung der Grundrechte in vielen Bereichen beeinträchtigen kann.
Urteil vom 2. März 2010
1 BvR 256/08, 1 BvR 263/08, 1 BvR 586/08
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